Chancengleichheit gibt es nicht Chancengleichheit gibt es in unserem föderalistischen Bildungssystem nicht. Viele Kantone haben zwar mit LP21 einen gewissen Bildungskonsens, doch in dessen Umsetzung sind nicht nur die kantonalen, sondern auch die kommunalen Unterschiede gross, insbesondere bezüglich der digitalen Transformation des Lehrens und Lernens. Die Volksschulen sind verpflichtet, ihren Unterricht mit den digitalen Möglichkeiten zu ergänzen. Wie dies zu tun ist und in welcher Intensität ist den Schulträgern überlassen. Hierzu gibt es im besten Falle kantonale Empfehlungen. Chancengleichheit konzeptionell berücksichtigen So ist es also den einzelnen Schulen überlassen, ein diesbezügliches Konzept zu erstellen, welches der Gemeinderat genehmigen und dem Stimmvolk an der Budget-Gemeindeversammlung zu unterbreiten hat. Ob und wie schliesslich die Lernenden Tablets oder Computers zur Verfügung haben, und wie die Lehrpersonen in den erweiterten Möglichkeiten des Unterrichtens, welche digitale Medien bieten, weitergebildet werden, ist also von ganz verschiedenen Faktoren abhängig. So ist die Chancengleichheit für die Lernenden nicht gegeben und hängt vom Zufall ab, in welcher Ortschaft sie zur Schule gehen. So genehmigte z.B. die Gemeinde Trimbach (SO) 2018 ein ICT-Konzept, an dem ich als PICTS (Pädagogischer Informations- und Kommunikationssupporter) mitwirken durfte, welches der Schule u.a. ermöglicht, jedem Schulkind beim Eintritt in die 5. Klasse ein personalisiertes iPad kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dieses Gerät gehört dem Schulkind bis Ende Sekundarschule. Mit einem solchen Konzept wurde die Möglichkeit geschaffen, innerhalb dieser Klassen eine Chancengleichheit bezüglich Zugang zu dem wichtigsten Leitmedium von heute zu gewähren. Diese Lernenden können also ab der 5. Klasse ihr Lernen auch selber in die Hand nehmen, unabhängig auch von Lehrpersonen, Zeit und Ort. Chancengleichheit innerhalb der Lerngruppe begünstigen Als Klassenlehrer einer 6. Klasse in Trimbach bin ich einer dieser Klassenlehrer. Ich versuche seither erst recht, eine Chancengleichheit mindestens innerhalb meiner Lerngruppe, meiner Klasse anzustreben. Als PICTS und APLS (Apple Professional Learning Specialist) gebe ich meine Erfahrungen in Workshops an Schulen in der ganzen Deutschschweiz weiter. Chancengleichheit unter Lernenden setzt entsprechende Sensibilisierung und Kompetenzen ihrer Lehrpersonen voraus. Meine Erfahrungen in meinen Workshops und in meinem eigenen Unterricht zeigen mir, dass Chancengleichheit eine Vision bleiben wird. Trotzdem und erst recht: Ich versuche meine Unterrichtssettings diesbezüglich visionär zu gestalten. Ich bin überzeugt, dass es schliesslich die Lehrpersonen sind, welche mit ihrem individualisierten, multiperspektiven, kompetenzorientierten und gemeinschaftsbildenden Unterricht immer wieder die Chancengleichheiten anzustreben haben. Chancengleichheit durch motivierte Lehrpersonen begünstigt Mit der Covid-19 Pandemie ist seit 16. März 2020 Unterricht innerhalb der Schulgebäude nicht mehr möglich. Die meisten Volksschulen stehen seither vor der Problematik, wie Lehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler nun erreichen. Dabei entstanden viele kreative Lösungen welche so lange gut funktionieren, wie der Bildungsauftrag gemäss LP 21 nicht oder nur teilweise erfüllt werden muss. Nun aber besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Schulen auch die kommenden Wochen nicht geöffnet werden können und es möglicherweise zu einem möglichst weit in der Ferne liegenden Zukunft zu erneuten Schulschliessungen kommen könnte. Unsere „Experimente“ und Erfahrungen bezüglich Fernunterricht sind also auch Investitionen in die Zukunft. Dies erkannten viele Lehrpersonen und zeigten eine Bereitschaft, sich einerseits für die Bewältigung der momentane Situation des Fernunterrichts fit zu machen, aber auch Kompetenzen für künftiges Unterrichten zu erlangen. Dies spürte und erlebte ich an den täglichen Webinaren, welche ich in den vergangenen 3 Wochen vielen Lehrerteams halten durfte. Lehrpersonen baten ihre Schulleitungen um diesbezügliche Weiterbildungen, Frühlingsferien hin oder her! Chancengleichheit durch strukturelle Organisation begünstigen Meine 6. Klässler haben also das Glück, dass alle ihr personalisiertes iPad zu Hause haben. So können wir uns Montags bis Freitags jeweils um 08:30 im virtuellen Klassenzimmer treffen. Meine Schülerinnen und Schüler schätzen es sehr, sich hier wenigstens über Video in der Klassengemeinschaft zu sehen und voneinander berichten zu hören. Nach einer Befindlichkeitsrunde blicken wir auf die Tagesstruktur. Diesen „Stundenplan“ ist jede Woche gleich strukturiert. In enger Absprache mit den Fachlehrkräften in den Lernbereichen Französisch, Englisch, Bildnerisches Gestalten und der Schulischen Heilpädagogin entstand eine Struktur, welche es den SuS ermöglicht, zu genau bestimmten Zeiten zwischen 08:30 - 11:45 mit ihren Fachlehrpersonen in sogenannten Meetingräumen (Videokonferenzräume) in Kontakt zu kommen. Ich als Klassenlehrer bin jeden Tag von 08:30 - 11:45 in einem Meetingraum anzutreffen. So hat jedes Schulkind immer die Möglichkeit, mindestens 1 Lehrperson zu kontaktieren. Ist die Tagesstruktur geklärt, erkläre ich die Arbeitsaufträge des Tages. Zum Erledigen der Aufgaben haben die Lernenden alle ihre Arbeitsmaterialien zu Hause (diese wurden einst von ihnen in der Schule abgeholt). Sämtliche Arbeitsaufträge hingegen werden auf einem online-tool bereitgestellt. Die Lernenden greifen hier auf ihre Aufträge zu und erledigen diese. Zusammen mit der Schulischen Heilpädagogin werden auch individualisierte Aufträge zur Verfügung gestellt. Nachdem die Aufträge gesichtet und allen grundsätzlich verständlich sind, werden die Lernenden in die Selbstlernzeit entlassen. Jetzt haben sie jederzeit die Möglichkeit, gemäss der Tagesstruktur Lehrpersonen in ihren Meetingräumen zu treffen, um Fragen anzubringen oder einfach auch um in einen persönlichen Austausch zu kommen. Andererseits können die Lehrpersonen wie auch die Lernenden auf anderen vorbestimmten Kanälen (Whatsapp, NextcloudTalk, SMS,...) Kontakt aufnehmen. Jede erledigte Aufgabe wird als solches im online-tool markiert oder es werden gar die Arbeitsprodukte (Foto, Text, Audio, Video) eingereicht, welche durch uns Lehrpersonen gesichtet und kommentiert werden. Einige Aufgaben sind auch so gestellt, dass ein Peer-Feedback unter den Lernenden möglich ist. Um 11:30 treffen wir uns zum Abschluss wieder im Meetingraum, halten Rückblick über die Arbeit vom Morgen. Diese Feedbacks der Lernenden helfen mir, die nächsten Arbeitsschritte und Arbeitsaufträge zu entwickeln. Am Nachmittag ist individuelle Selbstlernzeit. Die Arbeiten vom Morgen müssen bis spätestens um 15:00 erledigt und quittiert werden, damit mir genügend Zeit bleibt, diese noch zu sichten und kommentieren. Chancengleichheit durch mehrere individuelle Möglichkeiten begünstigen
Meinen Schulkindern und mir ist klar, dass Fernunterricht kein Ersatz ist für Schulunterricht. Es fehlt das Unmittelbare. Die Struktur des Fernunterrichts hilft jedoch, den Lernenden meiner Klasse einen der Krisensituation angepassten Unterricht zu gewähren, in dem gemäss LP21 weiter gearbeitet und gelernt werden kann, in einer Lernzeit wo es nicht um Prüfungen und Noten geht, sondern um den eigentlichen Sinn einer Schule: Lernen. Und das personalisierte iPad hilft gerade auch jetzt, dass jedes Schulkind die gleiche Chancen hat, mit Lehrpersonen in Kontakt zu kommen, allgemeine und individualisierte Arbeiten zu erledigen, individuelle Feedbacks zu erhalten und seine Selbstkompetenzen weiterzuentwickeln.
4 Comments
Duri Müller
4/13/2020 12:44:36 pm
Lieber Nigge Mit viel Interesse verfolge ich deinen Blog und denke auch manchmal über Praxis und Theorie nach. Ich kenne einige Situationen bekanntermassen von verschiedenen Perspektiven her und möchte dich zu deiner Meinung befragen.
Reply
Dominik Kohler
4/13/2020 11:31:47 pm
Lieber Duri
Reply
Duri Müller
4/14/2020 04:21:31 am
Danke für deine Rückmeldung; lasse deine Erfahrungen auch immer wieder in meine einfliessen. Sehe, dass überall ähnliche Herausforderungen anstehen. Leave a Reply. |
AutorDominik Kohler Archiv
October 2022
Kategorien |