Neues Lernsetting
Das SAMR Modell von Ruben Puentedura zeigt auf, dass das Potential neuer Medien (in meinem Sinne: iPads) im Bildungsbereich dahingehend genutzt werden will, dass Lernaufgaben neu definiert werden. Uns Lehrpersonen fehlt es jedoch zu Beginn, iPads auf diese Weise im Unterricht einzusetzen, denn das Hindernis liegt schon darin, dass wir unseren Unterricht nach bisherigem Schema planen. Heisst: Wir behandeln ein vorbereitetes Thema und suchen eine passende App dazu. So wird der Einsatz des iPads zwangsläufig ein Ersatz bisheriger Medien, also an Stelle von Papier, Profax, LÜK, Lernprogramme u.ä. wird jetzt mittels einer App am iPad geübt. Auch wird das iPad zum Texten verwendet, denn da kann man auch Bilder schön anordnen. Diese Erweiterung der Möglichkeiten ist per se nicht schlecht, doch bleibt die Unterrichtsentwicklung stecken, denn die Lernenden entdecken dabei nichts Neues, sondern machen Bisheriges bloss anders. Das Lernsetting muss also neu gedacht werden. Wir gehen nicht von einem (Lern-) Ziel aus, sondern von einem Problem oder von einer Fragestellung. Antworten zu finden wird somit zum Ziel. Dabei nutzen die Lernenden das iPad fürs Filmen, Fotografieren, Interviewen, Sammeln von Erkenntnissen, Recherchieren, Präsentieren, Austauschen, Zusammenarbeiten, usw. So ist das iPad das Hilfsmittel. Die Fragestellungen, wir nennen diese „Forscherfragen“, müssen zwingend viele Antwortmöglichkeiten offen lassen, welche selbst uns Lehrpersonen im Voraus nicht zwingend bekannt sein müssen. Ist die Forscherfrage formuliert, gilt es eine oder mehrere Antwort(en) als Vermutung zu formulieren. Diese wird/werden im Arbeitsprozess nach und nach verworfen, bestätigt oder um weitere mögliche Antworten erweitert. Dieses Explorieren ist der wichtigste Teil und beansprucht den grössten Zeitbedarf. Dabei arbeiten die SuS je nach Setting alleine oder in Gruppen, schauen sich über die Schultern, tauschen sich aus und unterstützen sich gegenseitig. Dabei werden von den Lernenden Selbst- und Sozialkompetenzen gefordert und gefördert. Die Lehrpersonen sind in dieser Phase Lernbegleiter, steuern und koordinieren ggf. Arbeitsprozesse und ermöglichen vielfältige Lernerfahrungen. Sie beobachten und wirken mittels Gespräche und Diskussionen in den Prozess ein und ganz wichtig: Zeigen echtes Interesse am Prozess. Ein solcher Unterricht kann im weitesten Sinne ein challenged based learning oder project based learning sein, was teilweise recht zeitaufwändig sein kann. Weniger aufwändig ist es meines Erachtens, wenn wir von problem based learning ausgehen. Wie auch immer: Ein solches Lernsetting gestaltet das Lernen neu, die Lernenden werden zwangsläufig zu Akteuren, die Lernerfahrungen werden intensiver und nachhaltiger. Der „Unterricht“ wird anspruchsvoller und spannender, ohne die Lernenden zu überfordern, weil das Niveau ihrer Arbeit durch die Lernenden selber bestimmt wird. Dieses Lehr- und Lernverhalten müssen wir Lehrpersonen wie unsere Lernenden üben und lernen. 6 Pädagogische Grundkonzepte Ein solches Lernsetting orientiert sich an 6 pädagogischen Grundkonzepten, nach denen wir unsere methodischen und didaktischen Überlegungen ausrichten.
Wir Lehrpersonen müssen unseren Unterricht also neu gestalten. Nebst der Ziel- und Kompetenzorientierung gemäss Lehrplan 21 berücksichtigen wir die 6 pädagogischen Grundkonzepte in Verbindung mit dem SAMR-Modell. Werden diese all diese Aspekte berücksichtigt, kann kompetenzorientierter Unterricht gelingen. Nicht sofort und nicht im kompletten Unterricht. Aber Schritt für Schritt, erst Ansatzweise, dann immer häufiger.
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Mit der Bildschirmzeit überblicken wir jeweils zum Wochenbeginn unsere Bildschirmzeit. Dabei spreche ich mit den SuS darüber, wie diese zustande kam. Mir ist wichtig, dass ich die Nutzungsdauer nicht werte, viele Minuten sind ebenso wenig gut oder schlecht wie wenige Minuten. Wichtiger ist mir, dass die SuS ein Bewusstsein entwicklen, was "Bildschirme" mit uns machen.
Erstaunt war ich darüber, dass ein Kind eine tägliche durchschnittliche Bildschirmzeit von 160 Minuten hatte. Mit diesem Kind suchte ich das Gespräch und schaute mit ihm gemeinsam den Verlauf an. Die Hälfte dieser Zeit war das Kind im Youtube. Es sagte mir und ich sah es auch, dass es sich mit dem gegenwärtigen Unterrichtsthema Abfall intensiv auseinandersetzte, ebenso auch mit Fortnite, denn zu beiden Themen wollte es ein Kahoot! erstellen. Dieses Kind verbrachte also auch viele aktive und kreative Momente vor dem Bildschirm. Als ich heute am Fotokopierer stand, stellte ich verwundert fest, dass ich für meinen Unterricht seit mehr als 7 Tage keine Kopien gemacht habe. Wie kommt das?
Weil alle meine SuS über ein persönliches iPad verfügen, nutze ich die Möglichkeit, Inhalte per Airdrop auf die iPad der SuS zu verteilen. Einige Beispiele: Elternschreiben werden wie bisher in die Kontaktmappe eingetragen, aber nur mit Titel und Datum, welches die Eltern zu signieren haben. Das Schreiben lagert in der Cloud (bei uns ist es die eWolke), im Hausaufgabenkalender der App iCal (ich verwalte den Kalender, meine SuS abonnierten den Kalender und haben nur Lese-Rechte) ist der Link dazu. Meine SuS müssen also den Eltern das iPad zum Lesen des Elternschreibens hinhalten. Unser Liederheft, wie auch unsere Noten fürs Mundharmonika-Spielen finden sich als pdf in der App Bücher. Hier können die SuS auch Annotationen machen. So stehen meine SuS im Singkreis mit dem iPad in den Händen ums Klavier. Mundharmonika spielen geht jedoch besser am Pult, da keine Hand frei ist, das iPad zu halten. Ähnlich arbeiten wir aktuell zu den Bundesrats-Ersatzwahlen. Das pdf-Dossier dazu kauften wir bei frischabpresse.ch, airdroppten es auf sämtliche iPads in die App Bücher und ergänzen es mit selbst erstellten Fragespiele in der App Kahoot! Ganz grundsätzlich mussten wir uns daran gewöhnen, zuerst zu überlegen, ob kopieren Sinn macht, oder aber es nicht anders geht. Und es geht oft anders. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass ich andere Mittel brauche, um den Überblick der Schülerarbeiten behalten zu können. Hier hilft mir das digitale Lernjournal von Seesaw. Das klappt ganz gut, doch warte ich darauf, bis die App Schoolwork einwandfrei funktioniert. Dies sei - laut Aussage unseres TICTS - noch nicht ganz gewährleistet. So überlege ich mir als nächstes, den Arbeitsplan im Fachbereich Deutsch digital als pdf zu verteilen. Als Pädagogischer Informations- und Communikationssupporter PICTS, als Apple Professional Learning Specialist und als Primarlehrer mit 30 Jahren Berufserfahrung als Klassenlehrer einer Sonderschulklasse schwerst erziehbarer Knaben im Kt. BL, als Klassenlehrer an einer AdL-Schule im Kt. AG, als Gesamtschullehrer im Kt. NW und als Klassenlehrer im Kt. SO bin ich beruflich nun da angelangt, wo ich seit 3 Dekaden hinzielte: Ich bin Klassenlehrer einer Klasse, in der jede Schülerin / jeder Schüler ihr / zum Lernen sein personalisiertes Gerät (iPad) überall zur Verfügung hat. Zeit, kurz inne zu halten und nachzudenken.
Wie hat sich mein Unterricht in einer 1:1 iPad Klasse innert 3 Monaten verändert? Die methodischen und didaktischen Überlegungen beim Planen des Unterrichts sind befreit von jeglichen Einschränkungen der Verfügbarkeit neuer Medien. Meine Schülerinnen und Schüler sind zusammen mit mir in einem total spannenden Prozess des Wandels. Täglich erweitern wir unsere Lehr- und Lernerfahrungen mit den Möglichkeiten, die uns die neuen Medien bieten. Meine Ab- sicht ist nicht, den Unterricht sofort komplett umzustellen, sondern nach und nach weiterzuentwi- ckeln mit der Vision, dass ich einst kaum mehr Lehrer sein werde, sondern Lernberater. Ich inter- pretiere den LP21 auch dahingehend, dass die Kompetenzorientierung die einstigen Sach- und Lernziele in den Hintergrund drängen. Dies bietet der Volksschule die Chance, den Unterricht (komplett) neu zu gestalten. Mit dem iPad bekommen die Schülerinnen und Schüler ein Medium, welches ihnen ermöglicht, ihr Lernen selber in die Hand zu nehmen. Meine 5. Klässlerinnen und Klässler müssen nun Lernen, mit diesen „Lernfreiheiten“ umzugehen. Dabei brauchen sie anfäng- lich meine enge Begleitung und gemeinsam reflektieren wir den sinnvollen Einsatz des iPads und merken: Das iPad hilft uns nicht immer per se, eine Aufgabe besser oder schneller lösen zu kön- nen. Damit solche Erfahrungen möglich sind, ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler zum Lösen ihrer Aufgabe(n) Medienfreiheit haben, d.h., sie entscheiden sich bewusst und selbst, mit welchen Mitteln - iPad oder Papier - eine Aufgabe gemacht werden will. Wie befreien wir uns vom Lernziel-orientierten Unterricht? Da sind die bisherigen Lehrmittel oft Stolpersteine. Lehrmittel sind nunmehr Hilfestellungen oder Hilfsmittel, die verlangten Kompetenzen zu erreichen. Mit dem LP21 wechselte ich (meine Schule) auch zentrale Lehr- und Lern-Leitmedien: Das bisherige Mathematik-Lehrmittel wurde in den Con- tainer geschmissen und durch ein in Bezug auf LP21 entwickeltes Lehrmittel ersetzt. Ebenso in den Fachbereichen Sprache und NMG. Ich erkannte, dass die „alten“ Lehrmittel zwar an LP21 angepasst wurden, doch etwas ging dabei vergessen: Wir Lehrpersonen haben mit den „alten“ Lehrmitteln Jahrzehnte lang gearbeitet, und so gelingt es uns mit diesen kaum, den Paradigma- wechsel des LP21 zu vollziehen. Wir bleiben in unseren „bewährten“ Unterrichtsvorbereitungen gefangen. Dasselbe stelle ich fest, wenn ich als Praxislehrer von Studentinnen und Studenten der FHNW im Coplaning zusammensitze. Wir Lehrpersonen sind geprägt durch unsere eigenen Schulerfahrungen als Schülerin / Schüler. Da braucht es eine Zäsur sie es durch einen äusseren Zwang oder besser aber durch einen tiefen Willen, sein Unterrichten neu zu gestalten. Neue Lehrmittel als Leitfaden und die Möglichkeiten des iPads schaffen mir nun eine beinahe ausge- wechselte Lernumgebung was mir hilft, neue Wege im Lehren und Lernen auszuprobieren. Lernen die Schülerinnen und Schüler nun besser? Diese Frage möchte ich so nicht beantworten, denn es ist eine falsche Fragestellung. Die Frage muss lauten: Lernen die Schülerinnen und Schüler lieber? Und dies kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Der Unterricht wird als lebendiger, abwechslungsreicher, interessanter und oft auch individueller wahrgenommen, weil das Lernen vermehrt in den Händen der Schülerin / des Schü- lers liegt. Selbsttätigkeit, Selbstständigkeit und Selbstkorrektur im Lernen geben den Lernenden Selbstbestimmung über ihr Lernen. Diese Autonomie ermöglicht auch, dass die / der Lernende „abschweift“. Die Schule bietet mit ihren Strukturen das notwendige lernförderliche Umfeld, un- terstützt die Lernenden dabei, sich auf die Arbeit zu fokussieren und lässt gleichzeitig zu, dass die Lernenden Wege einschlagen, die anfänglich nicht gedacht waren. Modifizierte und neudefinierte Aufgabenstellungen (siehe SAMR-Modell) lassen es nicht nur zu, sondern fördern und fordern ge- radezu andere Lösungswege. Nur noch am Screen? Nun, das iPad wird sehr häufig verwendet, zumal auf Kopien möglichst verzichtet wird und die Texte, Bilder (in Farbe) auf die iPads gedopt werden. Unser Notenheft fürs Mundharmonika-spie- len oder fürs Singen, Lösungsblätter für Mathe- oder Deutscharbeiten, Arbeitsblätter in NMG, El- ternbriefe, das Hausaufgabenheft und vieles mehr ist nun auf dem iPad. Die Gemeinschaft (Lehr- personen, Mitschülerinnen und Mitschüler) unterstützt das einzelne Schulkind durch Interaktion, Kooperation und erklärte Kritik an seiner Arbeit und in seinem Lernen erfreulicherweise häufiger und konkreter als zuvor. Das iPad hilft dabei, sich auf vielfältige Art mitzuteilen und das Lernen sichtbar zu machen: Durch Schreiben, Audioaufnahmen, Videoaufnahmen, Diktierfunktion, Zeich- nungen oder Fotografieren. Sich Mitteilen ist nun nicht mehr alleine an Schreibkompetenzen ge- bunden was viele Schülerinnen und Schüler als Befreiung wahrnehmen, was sich darin zeigt, dass sie sich z.B. im digitalen Lernjournal genauer, informativer und auch selbstkritischer äussern als zuvor auf Papier. So wird das iPad zum Medium, mit sich und seiner Mitwelt in Austausch zu kommen. Dies alles wird als spannend wahrgenommen, was den „gesunden“ jungen Menschen in seiner Neugierde weckt und motiviert. Und? Meine Schülerinnen und Schüler sind durchwegs positiv eingestellt, ebenso die Eltern, wenn letz- tere auch erst nach und nach erkennen, welches Potenzial zum Lernen in diesen Geräten steckt. Im Moment noch haben die Schülerinnen und Schüler 500g mehr Gewicht im Schulsack. Doch wir arbeiten daran, dass nach und nach Bücher aus der Lerntasche verschwinden, mit der Vision, dass nur noch das iPad und die Znünibox im Schulsack die Kinder auf dem Schulweg belasten. |
AutorDominik Kohler Archiv
October 2022
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